Jeneba Kanneh-Mason (Foto: John Davis)
Série jeunes: Jeneba Kanneh-Mason

«Eine Solokarriere ist ein Hochseilakt»

Der Zürcher Musikpädagoge Daniel Knecht über Jungtalente, verantwortungsvolle Veranstalter und «Wettbewerbitis».

Susanne Kübler

Zum Beispiel Semyon Salomatnikov: Er war als Kind oft krank, ein Arzt riet zu einem Blasinstrument – inzwischen ist der Russe 15 Jahre alt und feiert bemerkenswerte Erfolge als Trompeter.

Oder Maria Ioudenitch, 27 Jahre alt, Amerikanerin mit russischen Wurzeln: Sie hat mehr Violin-Wettbewerbe absolviert, als ihre Lehrer sinnvoll fanden, weil sie überzeugt war, dass Preise viele Türen öffnen. In ihrem Fall taten sie es tatsächlich.

Oder Jeneba Kanneh-Mason: Sie startete ihre Pianistinnen-Karriere zusammen mit ihren sechs Geschwistern in der Castingshow «Britain's got talent». Nun ist die 19-Jährige die dritte der Familie, die auch auf klassischen Podien auffällt.

Gemeinsam haben die drei, dass sie in dieser Saison in unserer Série jeunes auftreten: Als vielversprechende Jung-Talente – und als Musiker*innen, die einiges riskieren.

Bitte kein Wunderkind-Spektakel!

Denn eine Solokarriere ist ein Hochseilakt, «Absturzgefahr inklusive»: Das sagt Daniel Knecht, der Leiter des PreCollege Musik an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Er hat täglich mit jungen Begabungen zu tun, das 2015 gegründete PreCollege ist neben der Hochschulvorbereitung auch eine Art Schnupperlehre für ein Musikstudium. Deshalb weiss er auch, wie unterschiedlich sich talentierte Jugendliche entwickeln können – und wie heikel es sein kann, wenn man alles auf eine einzige Karte setzt.

Entsprechend wichtig findet er einen verantwortungsvollen Umgang mit Nachwuchstalenten. Von der verbreiteten «Wettbewerbitis» hält er wenig: «Wenn Lehrpersonen ihre Schützlinge von einem Concours zum nächsten hetzen, bleibt gar keine Ruhe für eine sinnvolle Entwicklung». Auch die Konzertveranstalter sind in der Pflicht: «Es ist gut, wenn junge Solist*innen Auftrittsmöglichkeiten wie jene in der Série jeunes bekommen», sagt Knecht. «Entscheidend ist, dass es in diesen Konzerten um das Kennenlernen von neuen künstlerischen Persönlichkeiten geht, und nicht um ein Spektakel mit sogenannten Wunderkindern.»

Stichwort Wunderkinder: Nicht täglich, aber doch immerhin wöchentlich ist Daniel Knecht mit Eltern konfrontiert, die bei ihm anklopfen, weil ihre Kinder musikalisch etwas Besonderes seien und dringend gefördert werden sollten. Er relativiert dann erst einmal, weist darauf hin, dass es ganz verschiedene musikalische Berufe und Werdegänge gibt, und rät zu Geduld. Der Wunsch nach einer musikalischen Ausbildung müsse von den Kindern ausgehen, «denn es braucht viel Eigenständigkeit dafür; wenn die Mutter den Geigenkasten trägt für ihren 14-jährigen Sohn, kommt es in der Regel nicht gut».

Fast zufällig oder sehr zielstrebig

Dass es keine Patentrezepte für musikalische Karrieren gibt, zeigen auch die Beispiele von Semyon Salomatnikov, Maria Ioudenitch und Jeneba Kanneh-Mason, die auf ganz unterschiedlichen Wegen in den Konzertbetrieb hineingekommen sind: fast zufällig, sehr zielstrebig oder dank einer besonderen familiären Konstellation.

Manche, die zunächst ähnlich unterwegs sind, schlagen plötzlich wieder eine andere Richtung ein. Denn Wünsche können sich ändern, sagt Daniel Knecht: «Ich habe es immer wieder erlebt, dass junge Musiker*innen irgendwann entdeckt haben, dass das Konzertieren gar nicht das ist, was sie am liebsten tun; dass sie viel lieber unterrichten, Aufnahmen produzieren – oder Medizin studieren und die Musik einfach als Hobby behalten.»

Nicht forcieren, nicht pushen: In der Schweiz ist man nicht nur an der ZHdK zurückhaltender als in anderen Ländern, was die intensive Solo-Förderung des Nachwuchses angeht. In Russland oder Südkorea etwa gibt es in der musikalischen Ausbildung einen Leistungsdruck, der hierzulande kaum denkbar wäre. «Bei uns geht es immer auch darum, jemanden in eine Existenz zu begleiten», sagt Knecht. «Es reicht nun mal nicht, ein paar Jahre lang Erfolg zu haben. Wir wollen Musiker*innen ausbilden, die eine gute Basis haben, die dann auch wirklich langfristig hält.»

«Heute ist fast niemand mehr ausschliesslich solistisch unterwegs», sagt Daniel Knecht.

Was bedeutet das nun für jene, die tatsächlich eine Karriere als Solist*in anpeilen? «Wer den Willen dazu hat, die Selbstdisziplin und dazu ein Umfeld, das nicht drängt, sondern stützt – der oder die kann es auch in der Schweiz schaffen», sagt Daniel Knecht. Aber die grosse Stärke des hiesigen Systems sei die Breite und Vielfalt, die individuelle Wege ermöglicht.

In diesem Sinn rühmt er auch die hiesigen musikalischen Institutionen: weil sie nicht nur den herausragenden Jungtalenten Auftrittsmöglichkeiten bieten, sondern etwa mit Orchesterpraktika auch ganz andere Türen öffnen. «Dass man in der Schweiz in vielen Orchestern – auch im Tonhalle-Orchester Zürich – ein Praktikum absolvieren kann, bei dem man das Repertoire kennenlernt und künstlerische, menschliche und organisatorische Erfahrungen sammeln kann, das ist eine grosse Chance für viele.» Umso mehr, als man all dies nicht allein üben kann: «Musizieren heisst immer, zusammen Musik machen, mit Orchestern, mit Kammermusikpartner*innen. Heute ist fast niemand mehr ausschliesslich solistisch unterwegs.»

Das spiegelt sich auch in den Programmen unserer Série jeunes. Man habe den Fokus in den letzten Jahren bewusst erweitert, sagt Marc Barwisch, Leiter des Künstlerischen Betriebs. So treten in dieser Saison nicht nur Semyon Salomatnikov, Maria Ioudenitch und Jeneba Kanneh-Mason auf, sondern auch das Saxophon-Quartett Keybart und das Novus String Quartet. Letzteres stammt übrigens aus Südkorea: Auch von dort kommen ganz entgegen dem Klischee durchaus nicht nur hoch virtuose Solist*innen – sondern auch hoch interessante Kammermusikformationen.

May 2023
Mon 22. May
19.30

Série jeunes – Jeneba Kanneh-Mason

Jeneba Kanneh-Mason Klavier Schostakowitsch, Beethoven, Prokofjew
January
Mon 09. Jan
19.30

Série jeunes – Maria Ioudenitch

Maria Ioudenitch Violine, Kenneth Broberg Klavier Ravel, Beach, White, Gershwin, Boulanger, Still, Debussy, Ravel
December 2022
Mon 05. Dec
19.30

Série jeunes – Semyon Salomatnikov

Semyon Salomatnikov Trompete, István Dénes Klavier Pokorný, Bach, Böhme, Wagner, Arban, Dénes, Dinicu
published: 30.11.2022

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