«Das ist es, was ich suche»
Die 24-jährige litauische Dirigentin Izabelė Jankauskaitė zieht nach einem Jahr als Assistant Conductor von Paavo Järvi weiter. Doch zuvor erzählt sie, warum sie bei ihrem nächsten Projekt zu ihren musikalischen Wurzeln zurückkehrt.
«Ich bin enorm dankbar für meine Zeit als Assistant Conductor, denn diese Erfahrung war ein unglaubliches Geschenk. Ich hörte das Tonhalle-Orchester Zürich und Paavo Järvi erstmals live 2019 in der Tonhalle Maag. Das war auch mein erstes Studienjahr an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Ich weiss noch genau, wie ich dachte: ‹Wow! Das ist es, was ich suche! Wenn ich Paavo Järvi eines Tages live treffen könnte … .› Damals hätte ich nie gedacht, dass ich sogar mal mit ihm zusammenarbeiten werde. Verrückt.
Ich lernte Paavo dann aber tatsächlich in einer Masterclass an der ZHdK vor zwei Jahren kennen – ich dirigierte Mendelssohns 4. Sinfonie, 4. Satz. Kurz darauf lud er mich für die Järvi Academy zum Pärnu Music Festival ein. Dann folgte ein weiterer ausschlaggebender Moment mit Paavo: Meine Vorgängerin Holly Choe war kurzfristig verhindert. An einem Samstagabend rief er an und fragte, ob ich am Montag Hollys Job übernehme könne. Weil ich gerade erst mit dem Dirigieren von Orchestern begonnen hatte, hatte ich noch nie assistiert. Zudem kannte ich die Werke zwar vom Hören, aber studiert hatte ich sie nicht. Es war einfach alles neu und beängstigend für mich. Ich sagte aber dennoch zu, und heute bin ich darüber enorm froh. Danach bot man mir die Stelle als Assistant Conductor beim Tonhalle-Orchester Zürich an.
Ich habe mich in diesem Jahr nicht nur als Musikerin weiterentwickelt, sondern ich bin als Mensch gewachsen. Es gab nicht wirklich schwierige, sondern wenn, dann herausfordernde Momente. Für mich ist das eine Frage der Einstellung oder Denkweise. Ich war schüchterner und vorsichtiger. Durch diese ganzen Erfahrungen wurde ich selbstbewusster. Ich habe gelernt, über den Tellerrand zu schauen und in grösseren Zusammenhängen zu denken. Als Assistant Conductor hatte ich ja nicht nur mit Paavo zu tun, sondern auch mit der Bibliothek, mit dem Aufnahme- und Managementteam und mit allen Musikerinnen und Musikern. Mit so vielen Profis eben. Mir ist bewusst geworden, dass man klassische Musik nicht nur spielen, sondern sie auch dem Publikum gegenüber aktiv und offen kommunizieren muss.
Wenn ich das Tonhalle-Orchester Zürich mit nur einem Wort beschreiben sollte, dann wäre es ‹Fülle›. Sein Ton ist reichhaltig, warm, rund und kraftvoll. Er ist durchdacht. Es war sehr beeindruckend und manchmal überwältigend, wie unterschiedlich das Orchester in den Proben und dann in den Konzerten klingt. Meiner Beobachtung nach hat das mit der Energie durch die Anwesenheit des Publikums zu tun. Das Orchester scannt das Publikum. Das liegt aber auch an Paavo, denn er ist ein sehr spontaner Dirigent. Er bringt nicht selten in den Konzerten Ideen auf, die wir so nicht geprobt hatten. Kleine Details, aber das hat eine grosse Auswirkung auf die Musikerinnen und Musiker.
Unvergesslich bleiben für mich unsere Gastspiele im Musikverein Wien, in der Philharmonie de Paris und in der Elbphilharmonie Hamburg, denn alle diese Konzertsäle habe ich zum allerersten Mal erlebt. Jeder hat eine andere Kultur, ein anderes Publikum, eine andere Akustik.
Ich habe von Paavo so viel über die Charakteristiken der einzelnen Instrumente gelernt. Er setzt bei seinem Dirigat auf lange Bögen. Ich denke nun beim Dirigieren auch eher so. Man sagt mir nach, dass ich beim Dirigieren singe. Also nicht, dass man mich singen hört. Gemeint ist wohl eher, dass durch das Atmen eine Phrasierung entsteht. Ich versuche immer, den Klang in meinen Händen zu spüren. So kann ich Musikerinnen und Musiker besser beeinflussen und meine Ideen und Emotionen, die aus der Musik entstehen, übertragen. Für meine Zukunft wünsche ich mir mit unterschiedlichen Orchestern und Dirigent*innen zu arbeiten. Ich möchte mein Repertoire und mein Wissen erweitern und in den Proben effizienter werden.
Weil es eine andere Welt ist, möchte ich auch Erfahrungen in der Oper sammeln. Ich vermisse das Singen und manchmal sehne ich mich auch danach, geführt zu werden, wie ich das vom Chorsingen kenne. Da komme ich ja ursprünglich her. Ich werde nun Assistentin von Dirigent Nicholas Carter an der Oper der Bühnen Bern in der Produktion ‹Tosca›. Auf die Möglichkeit, vom ersten bis zum letzten Tag eine Opernproduktion mitverfolgen und ein Teil davon sein zu können, freue ich mich schon wahnsinnig.»
Aufgezeichnet von Katharine Jackson
Wer Izabelė Jankauskaitės Karriere weiterverfolgen möchte, kann dies hier tun.