Love & Crime

Mörderballaden

Mit seinen «Murder Ballads» nimmt Bryce Dessner eine alte, blutige Tradition auf.

Susanne Kübler

Sie hiessen Emily, Omie oder Polly, sie hofften auf Liebe und hatten kein Glück damit. Wir wissen davon – denn ihre Geschichten wurden in Mörderballaden besungen. Diese Balladen waren im 19. Jahrhundert das, was True-Crime-Serien heute sind: schaurige Erzählungen von mehr oder weniger wahren Begebenheiten, sensationslüsterne Berichte von Love & Crime, gern versetzt mit einem Schuss Moral. Hört nur, hiess es jeweils in der letzten Strophe, was passiert, wenn man sich auf den Falschen einlässt (oder der Vater den Richtigen erwischt).

Solche Mörderballaden wurden auf Strassen und Jahrmärkten gesungen, bis die Zeitungen und das Radio sich so weiträumig durchgesetzt hatten, dass sie die Verbreitung der Schauergeschichten übernehmen konnten. Danach wechselte das Genre von der Strasse in die Kunst: etwa in die «Dreigroschenoper» von Bertolt Brecht und Kurt Weill, in der Mackie Messer seine tödliche Waffe schon im Namen trägt. Man weiss die Ironie dieses Songs erst recht zu schätzen, wenn man das 1996 erschienene Album «Murder Ballads» von Nick Cave & The Bad Seeds hört: Was da mit düsterer Stimme und unheilvollem Sound von Hilda, Hattie und Holly erzählt wird, ist kaum auszuhalten.

Noch einmal 17 Jahre später hat unser Creative Chair Bryce Dessner «Murder Ballades» komponiert, ausgehend von (zumeist) traditionellen Melodien, aber ganz ohne Worte. Sechs Instrumente genügen ihm, um Emily, Omie und Polly in die Gegenwart zu holen. Und daran zu erinnern, dass ihre Tragödien auch heute noch stattfinden.

September 2023
Do 21. Sep
12.15 Uhr

Kammermusik-Lunchkonzert

Haika Lübcke Flöte, Diego Baroni Klarinette, Christopher Whiting Violine, Gabriele Ardizzone Violoncello, Elaine Fukunaga Klavier, Christian Hartmann Schlagzeug Dessner, Harbison
veröffentlicht: 18.09.2023