Schostakowitsch-Zyklus

Musikalische Denkmäler

Wir feiern das Schostakowitsch-Jahr 2O25 mit einem Zyklus seiner sämtlichen Streichquartette. Nach dem Auftakt in der letzten Saison mit Nr. 1 bis 9, folgen nun Nr. 10 bis 15. Sie dokumentieren in besonderer Weise, welche symbiotische Verbindung Komponist und Interpreten eingehen können.

Ulrike Thiele

Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) schrieb 15 Sinfonien und 15 Streichquartette: Während die Sinfonien immer wieder den kritischen Blick der Zensur auf sich zogen, konnte er in seinen Streichquartetten freier aufspielen. Bis zu seinem Lebensende bot sich ihm hier die Möglichkeit, zu experimentieren. Ausserdem setzte er damit seinem Ideal-Quartett Denkmäler für die Ewigkeit, die uns bis heute in seiner persönlichen Sprache tief berühren und erschüttern.

Streichquartett Nr. 10

Im selben Konzert wie das Streichquartett Nr. 9 führte das Moskauer Beethoven-Quartett am 20. November 1964 die Nr. 10 erstmals auf. Gewidmet ist sie dem jüngeren Komponistenkollegen und Weggefährten Mieczysław Weinberg (1919–1996, auch Moissej Wainberg), dessen Werke seit einigen Jahren eine grosse Wiederentdeckung erfahren. Dieser hatte bereits neun Quartette geschrieben – und so fühlte sich Schostakowitsch im freundschaftlichen Wettstreit herausgefordert: «Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, Wainberg einzuholen und zu überholen, was ich nun auch gemacht habe.» Zudem gibt es einen musikalischen Verweis auf die persönliche Verbindung der beiden Komponisten: Der zweite Satz, das «Allegretto furioso», erinnert in seinem hämmernd- eindringlichen Gestus stark an den sogenannten «Stalin-Satz» aus Schostakowitschs Sinfonie Nr. 10. Sie hatte die grössten Debatten seit «Lady Macbeth von Mzensk» ausgelöst, sogar mehrtägige Diskussionsrunden waren dafür organisiert worden – und Weinberg bekannte sich in diesem von Polemik geprägten Spannungsfeld öffentlich zu Schostakowitsch. Das war alles andere als eine Selbstverständlichkeit unter diesen politisch-gesellschaftlichen Vorzeichen.

Streichquartett Nr. 11

Im August 1965 erreichte Schostakowitsch die Nachricht, dass der zweite Geiger des Beethoven-Quartetts, Wassili Schirinski, verstorben war. Zum Primarius Dmitri Zyganow sagte er daraufhin: «Wir werden alle diese Welt verlassen. (...) Aber das Beethoven-Quartett sollte ewig bestehen. In 50 Jahren und auch in 100 Jahren.» Das Ensemble, das für den Komponisten eine Art Ideal-Ensemble war, hatte bis dahin seit dem zweiten alle seine Streichquartette uraufgeführt. In einem übervollen Jahr 1966, in dem sein 60. Geburtstag weltweit mit zahlreichen Sonderveranstaltungen gefeiert wurde (u. a. leitete Leonard Bernstein im New Yorker Lincoln Center Schostakowitschs Neunte Sinfonie), nahm sich der Komponist im Februar 1966 Zeit, um den Geiger mit dem Streichquartett Nr. 11 zu ehren. Allein die besondere Struktur zollt dem Verlust Tribut, denn über weite Strecken agiert das Quartett als Trio – jemand fehlt. Die Choralanspielung im Rezitativ und die Elegie sind zentrale Trauermomente. Ausserdem verleiht das «morendo» im Pianissimo am Ende jedes der sieben Abschnitte der Suite immer wieder den Charakter des Abschiednehmens. Das Motto-Motiv, das in der Introduktion vorgestellt wird, legte der Komponist in die Hände des Bruders, Sergej Schirinski.

Streichquartett Nr. 12

Die folgenden Quartette widmete Schostakowitsch den anderen Mitgliedern des Beethoven-Quartetts: das 12. dem ersten Geiger Dmitri Zyganow, das 13. dem Bratschisten Wadim Borissowski sowie das 14. und 15. dem Cellisten Sergej Schirinski. Nach schweren gesundheitlichen Rückschlägen hoffte er, 1968 wieder an seinen alten Tatendrang anknüpfen zu können. Von dieser Aufbruchsstimmung zeugt das zwölfte Quartett, das die schon im 11. Quartett erkennbaren Anklänge an neue tonale Experimente konsequent fortsetzt. Bereits das einleitende Motiv ist zwölftönig und ohne Wiederholung aufgebaut – wobei er im Folgenden keineswegs auf tonale Assoziationen verzichtete. Der zweite, komplex ausgestaltete Satz macht Schostakowitschs Idee der Grossform erlebbar. Als der Widmungsträger Zyganow fragte, ob das neue Werk kammermusikalischer Natur sei, antwortete der Komponist: «Nein, nein, das ist eine Sinfonie, eine Sinfonie.»

Streichquartett Nr. 13

Wie in Wellen wechselten sich in Schostakowitschs Leben nun Phasen enormer gesundheitlicher Rückschläge und hoffnungsvoller Schaffensperioden ab. Die zunehmende Muskelschwäche in seinen Gliedern, die von einer chronischen Entzündung des Rückenmarks herrührte, versuchte er mit Hilfe eines strengen ärztlichen Behandlungsplans in den Griff zu bekommen. «Ich habe sogar begonnen, Klavier zu spielen, und zwar nicht nur langsam und leise, sondern auch schnell und laut. Zum Beispiel die vierte, fünfte und einige weitere Etüden von Chopin», berichtete er aus der Klinik. Sobald sich sein Zustand verbesserte, machte er sich ans Komponieren. Mit dem 13. Streichquartett setzte er den eingeschlagenen Weg fort: Er nutzt erneut die Mittel der Dodekaphonie, verbindet diese aber mit starken Gesten des Ausdrucks. So setzt die Bratsche, das Instrument des Widmungsträgers Wadim Borissowski, drei Mal solistisch an, bevor sie ihren zwölftönigen Klagegesang entfaltet. Er ist das Herzstück des einsätzigen Werks, das Erschütterung in Musik setzt.

Streichquartett Nr. 14

Dass das 1973 entstandene Quartett Nr. 14 dem Cello gewidmet ist, wird bereits klar, wenn dieses das tänzerische Hauptthema vorstellt. Die beiden heiteren Ecksätze umschliessen das Adagio, das ein anrührendes Duo zwischen erster Geige und Cello mit sich bringt. Ähnlich wie im 11. Quartett mit den Trio-Passagen schrieb Schostakowitsch das Verschwinden seines geschätzten Beethoven-Quartetts in das Werk ein: Nach dem Tod von Wadim Borissowski waren nur noch zwei der Musikerfreunde am Leben. Als weitere Chiffre findet sich ein bei ihm beliebtes Mittel: Er zitiert sich selbst. Mit der Arie «Serjoscha, mein Liebster» aus der Oper «Lady Macbeth von Mzensk» spricht er den Widmungsträger Sergej Schirinski in Koseform, also auf denkbar persönliche Weise an. Doch diesen Widmungen wohnte etwas Schicksalhaftes inne – darüber war sich Schostakowitsch im Klaren: «Ich möchte keine Widmungen mehr. Als ich das 13. Quartett Borissowski zugedacht habe, starb mein Freund kurz darauf. Um mich kreist der Tod, einen nach dem andern nimmt er mir, nahestehende und teure Menschen, Kollegen aus der Jugendzeit.» Er sollte tragischerweise Recht behalten.

Streichquartett Nr. 15

1974 machte sich Schostakowitsch an sein nächstes Streichquartett – bereits Jahre zuvor hatte er dem Geiger des Beethoven-Quartetts, Dmitri Zyganow, das eigentliche Ziel offenbart: Es sollte ein Zyklus von 24 Streichquartetten werden, durch alle Tonarten, ganz ähnlich seinen 24 Präludien nach Bach’schem Vorbild. Doch der Verlust war allgegenwärtig – der Verlust der eigenen Kräfte sowie der Verlust wichtiger Wegbegleiter. Und auch ohne Widmung zu Beginn war klar, dass das jüngste Streichquartett ein klingendes Epitaph werden sollte: Ein einziger 35-minütiger Trauergesang, bestehend aus sechs nahtlos ineinander übergehenden Sätzen. Jeder ein Adagio. Heiterkeit hat hier keinen Platz mehr. Für die Premiere war selbstredend das Beethoven-Quartett vorgesehen. Der Cellist Sergej Schirinski hatte sich scheinbar rechtzeitig bis zum Beginn der ersten Proben von einem schweren Herzinfarkt erholt. Doch danach erlitt er einen Rückfall und starb, bevor das Quartett uraufgeführt werden konnte. So musste kurzfristig das junge Tanejew- Quartett die Erstaufführung am 15. November 1974 übernehmen, bei der Schostakowitsch noch anwesend war, obwohl schon stark von Krankheit gezeichnet. «Als die letzten Akkorde des Quartetts leise verhallten, wurde es im Saal völlig still, und schweigend erhoben sich alle, um dem Komponisten ihre Ehrerbietung zu bekunden», berichtete ein Zeitgenosse. «Danach brach ein nicht enden wollender Beifallssturm los.» Auch wenn sich sein Gesundheitszustand nun von Tag zu Tag verschlechterte, gab Schostakowitsch das Komponieren nicht auf. Zu Dmitri Zyganow, dem letzten Verbliebenen im Beethoven- Quartett, sagte er, dass er beschlossen habe, das 16. Streichquartett zu schreiben. Jedoch habe er traurig hinzugefügt: «Weisst du, Mitja, die euch versprochenen 24 Quartette werde ich nicht mehr schaffen ...». Schostakowitsch starb im August 1975 – es sollte bei 15 Quartetten bleiben.

November 2025
So 30. Nov
17.00 Uhr

Schostakowitsch-Zyklus

Jerusalem Quartet, Alexander Pavlovsky Violine, Sergei Bresler Violine, Alexander Gordon Viola, Kyril Zlotnikov Violoncello Schostakowitsch
Sa 29. Nov
18.30 Uhr

Schostakowitsch-Zyklus

Jerusalem Quartet, Alexander Pavlovsky Violine, Sergei Bresler Violine, Alexander Gordon Viola, Kyril Zlotnikov Violoncello Schostakowitsch
veröffentlicht: 12.11.2025

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